Meine Gedanken zu den Anschlägen in Paris

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Mit meiner Arbeit versuche ich Leben auf die Straßen zu locken – in Cafés, Restaurants, auf Konzerte. Und das würde ich auch in Paris so machen.

Als die Menschen am Freitagabend angegriffen wurden, hatte Angst sie nicht davon abgehalten das Haus zu verlassen. Sie waren mit ihren Freunden unterwegs, hörten Musik oder gingen die Straßen entlang. Hätte Angst das verhindert, wären sie innerlich  vielleicht schon lange zuvor gestorben.

Die Eilmeldung zu den Anschlägen in Paris erreichte mich, als ich gerade auf der vollen Tanzfläche einer privaten Feier stand – um mich herum viele fröhliche Gesichter. Ich war hier zum Tanzen und Lachen, um mal den Kopf abzuschalten. Dinge, die für mich nicht selbstverständlich sind, da ich sie aufgrund von gesundheitlichen Problemen längere Zeit nicht mehr richtig greifen konnte. Irgendwann war es so schlimm, dass ich kaum noch vor die Haustür gehen konnte. Damals fühlte ich mich in meiner Lebensqualität stark eingeschränkt, fast ein bisschen wie gefangen. Um das zu ändern, musste ich mich meinen Ängsten stellen und wieder hinaus gehen – in die Parks und Cafés, auf Konzerte und in Restaurants. Mit jedem Mal hat mich diese Überwindung ein Stück stabiler und zufriedener gemacht. Um mich herum waren wieder Menschen, Gespräche, der Duft nach Kaffee, Wärme, Liebe, gutes Essen, Musik, unerwartete Begegnungen, Kinder, Freude, Gelächter, Atmosphäre – um mich herum war Leben. Ich fing an, all das aufzuschreiben, in meinen Fotos festzuhalten und online zu veröffentlichen. Ich wollte die Gefühle aufsaugen und koservieren. Und ich wollte die Menschen in meiner Umgebung daran teilhaben lassen. Die Menschen, die immer wieder die gleichen Wege gingen, ohne groß nach links und rechts zu schauen. Aber auch die, die sich vielleicht in einer ähnlichen Situation befanden, wie es damals bei mir der Fall war.

Beim Anfertigen meiner Artikel war es mir oft ein Anliegen, ein bisschen französisches Lebensgefühl in unser kleines Kiel zu holen. Die Leichtigkeit, die Wertschätzung der alltäglichen Dinge, die Lust auf Genießen. Auch dachte ich mehrfach an das authentische und künstlerische Treiben auf den Straßen und Märkten in Beirut, von dem mir eine liebe Freundin schon so oft erzählt hatte. Diese Erzählungen und Vorstellungen inspirierten mich dazu, Kiel mit anderen Augen zu betrachten.

Ich stelle mir gerne vor, dass die gesamte Stadt mein Wohnzimmer ist. Für mich ist das die Verkörperung von Freiheit, die jeden Tag für jeden greifbar sein sollte. In diese Freiheit dürfen wir uns von niemandem eingreifen lassen. Gerade jetzt müssen wir sie erhobenen Hauptes nach draußen tragen und andere Menschen dabei mitreißen. Sie ist das, was uns lebendig macht, uns von Ketten löst und das Menschsein formt.

Was wäre das auch sonst für ein sinnloses Leben, in welchem man aus Angst das Haus nicht mehr verlässt. Vielleicht entgeht man dadurch einem Unfall oder vielleicht auch einem Anschlag, aber wie wenig hätte man dieses eine Leben dann ergriffen und gefeiert? Nehmt ängstliche Menschen an die Hand und füllt ihre Wunden mit den kleinen Wundern des Alltags – mit Liebe, Blumen und Tanzen. Geht weiterhin vor die Tür und tragt Eure Lebensfreude auf die Bürgersteige, die alten Dielen in Eurem Lieblingsclub oder an die Tische in den Bars und Cafés – nur so können wir unsere Geschichten erzählen und dabei ein bisschen glücklicher und angstfreier sein in dieser Welt. Egal ob in Paris, Beirut, Berlin oder Kiel.

Zeichnung: „Peace for Paris“ by Jean Jullien