Ahoi Nachbar // Ihre Möbel erzählen Geschichten

küstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbar

Auf meinem Weg zu Annette und ihrem Dackel Maja, biege ich in eine kaum befahrene Straße ab. Es ist ein regnerischer Tag Ende November. Die Autos haben bereits zur Mittagszeit ihre Scheinwerfer eingeschaltet, die Menschen verstecken sich unter Schirmen in tristen Grauschattierungen. Ich klingle an der Eingangstür eines typischen Mehrfamilienbaus der Nachkriegszeit. Mit seinen rötlichen Ziegelsteinen, gleichmäßig verteilten Balkonen und kleinem Vorgarten mit dicht bewachsener Hecke, unterscheidet es sich optisch nicht von den Gebäuden in der Nachbarschaft. Annettes Wohnung aber ist anders: Ihre Einrichtung passt zwar in die Zeit, in der das Haus gebaut wurde, jedoch nicht zur unaufgeregten Fassade. Solche Überraschungen mag ich am liebsten.

Vom tristen Grau vor der Haustür entschwinde ich in ein wärmendes Wohlgefühl. Alleine im Eingangsbereich hat Annette zahlreiche Lampen mit weißen Papierschirmen aufgehängt. Noch bevor ich sie richtig begrüßen kann, rutscht mir Dackeldame Maja auf dem Laminatboden des kleinen Flurs entgegen. Annette hatte mich Tage zuvor vor ihrem „sehr aufdringlichen“ Hund gewarnt – mich erwartet ein verspieltes Haustier mit Fußfetisch. Ich bin verliebt, könnte den ganzen Tag damit verbringen der Hündin den borstigen Bauch zu kraulen. „Maja ist mit ihren sieben Jahren immer noch sehr kindisch – ich dachte das hört irgendwann auf.“ Annette ist der Wirbel um ihre tierische Mitbewohnerin sichtlich unangenehm. Sie nimmt Maja auf den Arm – zusammen gehen wir in den Wohnraum. Annette bietet mir einen Früchtetee und Marmorkuchen an; auch einen prall befüllten Teller mit Süßigkeiten stellt sie auf den hölzernen Esstisch. Nahezu alles ist in dunklem Holz gehalten: Regalböden, der Couchtisch, die langgezogenen Kommoden. Unter meinen Füßen befindet sich ein weicher Teppich in sanftem Beige. Er nimmt den Holzmöbeln die Schwere – lockert den Raum optisch wieder auf.

küstenmerle, so wohnt kiel, ahoi nachbarküstenmerle, so wohnt kiel, ahoi nachbarküstenmerle, so wohnt kiel, ahoi nachbar

Schmale Tisch- und Stuhlbeine findet Annette besonders ästhetisch. „Wenn ich etwas sehe, dann gefällt es mir entweder auf Anhieb oder eben nicht. Dadurch passt auch alles irgendwie zusammen – das bin eben ich.“ Erst nach ihrer Studienzeit in Kiel hat die 32-Jährige ihren eigenen Stil gefunden. Das gilt für Klamotten genauso wie für die Einrichtung in der Wohnung. „Die Art, wie sich Skandinavier kleiden und wie sie leben entspricht mir sehr“, so Annette.

küstenmerle, so wohnt kiel, ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbar

Ganz besonders hängt Annettes Herz an einem kunstvollen Vogelbild im Wohnzimmer. „Das Bild habe ich aus meinem Elternhaus mitgenommen. Es ist eine der wenigen Erinnerung an meine Kindheit, die ich richtig greifen kann. Als ich klein war saß ich oft stundelang vor der Zeichnung und tauchte ab in Fantasiewelten. Wenn es bei mir brennen würde, würde ich dieses Andenken vermutlich zuerst retten – und Maja natürlich.“

küstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbar

Geboren ist Annette in der Schweiz. Mit ihren Eltern und drei Schwestern zog sie in ihrer Jugend mehrfach um. Zuletzt verschlug es die Familie in ein kleines Dorf in Nordfriesland – direkt ans Meer. „Ich konnte mich nie so richtig mit der Nordsee anfreunden. Die Landschaft wirkte im Vergleich mit meiner Heimat eintönig auf mich – dort gibt es kaum Bäume und die See scheint immer so verlassen und trostlos.“ Für ihr Pädagogik-Studium zog Annette schließlich nach Kiel und kam mit der Zeit endlich an. Vor allem die Segelschiffe auf der Förde gefallen ihr. „Wenn das Wasser nicht wäre, dann fände ich auch Kiel nicht schön“, sagst sie.

küstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbar

Neben einigen liebgewonnen Ikea-Stücken ergattert Annette ihre Möbel in der Regel über Kleinanzeigen. „Als Vintage noch nicht im Trend war bin ich regelmäßig zum Trödler gegangen und habe da Schätze gefunden – das mache ich heute nur noch selten.“

küstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbarküstenmerle so wohnt kiel ahoi nachbar

Mittlerweile reist Annette viel herum, um Möbel von Privatleuten einzukaufen. Die unterschiedlichsten Wohnräume, Menschen und Geschichten begegneten ihr auf diesem Weg. „Auf einmal stehst du in der Wohnung von Fremden und schaust dir deren Einrichtung an – das hat mich anfangs schon einiges an Überwindung gekostet“, erzählt sie und fügt hinzu: „Es ist aber schön zu wissen, dass die Möbel ein Leben mitbringen; dass sie jemandem vielleicht einmal genauso viel bedeutet haben wie jetzt mir.“ Auf dem Schreibtisch aus Dänemark, der im Schlafzimmer steht, hat Annette analoge Fotos mit spielenden Kindern aufgestellt. Sich mit dem eingefrorenen Abbild fremder Menschen zu umgeben stört sie nicht – im Gegenteil: „Damals hat man meist nur wirklich besondere Momente mit der Kamera festgehalten. Ich halte diese Situationen sehr gerne in Ehren.“

Manchmal stellt sich Annette vor, sie habe früher schon einmal gelebt hat und ihre Leidenschaft für alte Möbel mit ins Heute genommen hat. „Die meisten Sachen in meiner Wohnung existieren länger als ich – das fasziniert mich.“ Wenn sie sich in ihrer Wohnung umschaut, dann hat Annette gelegentlich Angst, ihr könnte all das, von dem sie umgeben ist, irgendwann nicht mehr gefallen. „Ich träume davon, später einmal in einem minimalistischen 60er-Jahre-Haus mit Glasfront und Blick auf Bäume zu leben. Dieses Panorama wäre dann wahrscheinlich ein neues Lieblingsbild von mir.“