27. November 2014
Ahoi Nachbar // Ihre Möbel erzählen Geschichten
Auf meinem Weg zu Annette und ihrem Dackel Maja, biege ich in eine kaum befahrene Straße ab. Es ist ein regnerischer Tag Ende November. Die Autos haben bereits zur Mittagszeit ihre Scheinwerfer eingeschaltet, die Menschen verstecken sich unter Schirmen in tristen Grauschattierungen. Ich klingle an der Eingangstür eines typischen Mehrfamilienbaus der Nachkriegszeit. Mit seinen rötlichen Ziegelsteinen, gleichmäßig verteilten Balkonen und kleinem Vorgarten mit dicht bewachsener Hecke, unterscheidet es sich optisch nicht von den Gebäuden in der Nachbarschaft. Annettes Wohnung aber ist anders: Ihre Einrichtung passt zwar in die Zeit, in der das Haus gebaut wurde, jedoch nicht zur unaufgeregten Fassade. Solche Überraschungen mag ich am liebsten.
Vom tristen Grau vor der Haustür entschwinde ich in ein wärmendes Wohlgefühl. Alleine im Eingangsbereich hat Annette zahlreiche Lampen mit weißen Papierschirmen aufgehängt. Noch bevor ich sie richtig begrüßen kann, rutscht mir Dackeldame Maja auf dem Laminatboden des kleinen Flurs entgegen. Annette hatte mich Tage zuvor vor ihrem „sehr aufdringlichen“ Hund gewarnt – mich erwartet ein verspieltes Haustier mit Fußfetisch. Ich bin verliebt, könnte den ganzen Tag damit verbringen der Hündin den borstigen Bauch zu kraulen. „Maja ist mit ihren sieben Jahren immer noch sehr kindisch – ich dachte das hört irgendwann auf.“ Annette ist der Wirbel um ihre tierische Mitbewohnerin sichtlich unangenehm. Sie nimmt Maja auf den Arm – zusammen gehen wir in den Wohnraum. Annette bietet mir einen Früchtetee und Marmorkuchen an; auch einen prall befüllten Teller mit Süßigkeiten stellt sie auf den hölzernen Esstisch. Nahezu alles ist in dunklem Holz gehalten: Regalböden, der Couchtisch, die langgezogenen Kommoden. Unter meinen Füßen befindet sich ein weicher Teppich in sanftem Beige. Er nimmt den Holzmöbeln die Schwere – lockert den Raum optisch wieder auf.
Schmale Tisch- und Stuhlbeine findet Annette besonders ästhetisch. „Wenn ich etwas sehe, dann gefällt es mir entweder auf Anhieb oder eben nicht. Dadurch passt auch alles irgendwie zusammen – das bin eben ich.“ Erst nach ihrer Studienzeit in Kiel hat die 32-Jährige ihren eigenen Stil gefunden. Das gilt für Klamotten genauso wie für die Einrichtung in der Wohnung. „Die Art, wie sich Skandinavier kleiden und wie sie leben entspricht mir sehr“, so Annette.
Ganz besonders hängt Annettes Herz an einem kunstvollen Vogelbild im Wohnzimmer. „Das Bild habe ich aus meinem Elternhaus mitgenommen. Es ist eine der wenigen Erinnerung an meine Kindheit, die ich richtig greifen kann. Als ich klein war saß ich oft stundelang vor der Zeichnung und tauchte ab in Fantasiewelten. Wenn es bei mir brennen würde, würde ich dieses Andenken vermutlich zuerst retten – und Maja natürlich.“
Geboren ist Annette in der Schweiz. Mit ihren Eltern und drei Schwestern zog sie in ihrer Jugend mehrfach um. Zuletzt verschlug es die Familie in ein kleines Dorf in Nordfriesland – direkt ans Meer. „Ich konnte mich nie so richtig mit der Nordsee anfreunden. Die Landschaft wirkte im Vergleich mit meiner Heimat eintönig auf mich – dort gibt es kaum Bäume und die See scheint immer so verlassen und trostlos.“ Für ihr Pädagogik-Studium zog Annette schließlich nach Kiel und kam mit der Zeit endlich an. Vor allem die Segelschiffe auf der Förde gefallen ihr. „Wenn das Wasser nicht wäre, dann fände ich auch Kiel nicht schön“, sagst sie.
Neben einigen liebgewonnen Ikea-Stücken ergattert Annette ihre Möbel in der Regel über Kleinanzeigen. „Als Vintage noch nicht im Trend war bin ich regelmäßig zum Trödler gegangen und habe da Schätze gefunden – das mache ich heute nur noch selten.“
Mittlerweile reist Annette viel herum, um Möbel von Privatleuten einzukaufen. Die unterschiedlichsten Wohnräume, Menschen und Geschichten begegneten ihr auf diesem Weg. „Auf einmal stehst du in der Wohnung von Fremden und schaust dir deren Einrichtung an – das hat mich anfangs schon einiges an Überwindung gekostet“, erzählt sie und fügt hinzu: „Es ist aber schön zu wissen, dass die Möbel ein Leben mitbringen; dass sie jemandem vielleicht einmal genauso viel bedeutet haben wie jetzt mir.“ Auf dem Schreibtisch aus Dänemark, der im Schlafzimmer steht, hat Annette analoge Fotos mit spielenden Kindern aufgestellt. Sich mit dem eingefrorenen Abbild fremder Menschen zu umgeben stört sie nicht – im Gegenteil: „Damals hat man meist nur wirklich besondere Momente mit der Kamera festgehalten. Ich halte diese Situationen sehr gerne in Ehren.“
Manchmal stellt sich Annette vor, sie habe früher schon einmal gelebt hat und ihre Leidenschaft für alte Möbel mit ins Heute genommen hat. „Die meisten Sachen in meiner Wohnung existieren länger als ich – das fasziniert mich.“ Wenn sie sich in ihrer Wohnung umschaut, dann hat Annette gelegentlich Angst, ihr könnte all das, von dem sie umgeben ist, irgendwann nicht mehr gefallen. „Ich träume davon, später einmal in einem minimalistischen 60er-Jahre-Haus mit Glasfront und Blick auf Bäume zu leben. Dieses Panorama wäre dann wahrscheinlich ein neues Lieblingsbild von mir.“
5 Kommentare
Hanna
28. November 2014
Wieder mal ein wunderschöner Beitrag 🙂 wonach suchst du die Wohnungen eigentlich aus?
Merle Primke
1. Dezember 2014
Ahoi Hanna, erst einmal vielen lieben Dank für die Blümchen! 🙂 Die Wohnungen müssen mich ansprechen, mir eine Geschichte erzählen. Auch sollen sie meinen Lesern als Inspiration dienen und zeigen, dass es viele interessante Menschen und Einrichtungsstile in Kiel gibt. Ich glaube daran, dass die Stadt auf diesem Weg ein kleines Stückchen mehr zusammen wächst.
M@rtin
4. Dezember 2014
Hallo Merle,
nach deinem Weggang von foerdefräulein, fehlte mir dort das gewisse Etwas an Wärme und echte Liebe an der Sache. Ich kann es nicht genau benennen.
Jetzt habe ich deine neue Seite entdeckt und freue mich umso mehr, dir jetzt hier weiter auf deinen kleinen bunten Geschichten-und Erkundungsreisen durch den Kieler Alltag folgen zu können und mir unser Kiel aus ganz unterschiedlichen Perspektiven nahezubringen.
Liebe Grüße
Martin
Merle Primke
5. Dezember 2014
Lieber Martin,
deine ehrlichen Worte bewegen mich – vielen Dank für deine Nachricht!
Alles Liebe von Merle
M@rtin
6. Dezember 2014
Dafür nicht! 😉
Ich freue mich auf die nächsten Kieler Geschichten.
Als zugezogener Kieler frage ich mich ja – Warum gibt es eigentlich keinen Weihnachtsmarkt an der Förde? Das ist es doch, was Kiel mit auszeichnet – das nahe Meer.
Fragst du dich das auch?