16. Januar 2015
Brewcomer // Craft Beer vor Vogeltapete
In dem neuen Craft-Beer-Store Brewcomer in der Kieler Stiftstraße hat Inhaber Lars ausgesuchte Biere aus der ganzen Welt in weißen Regalen vor einer mintgrünen Vogeltapete platziert. Dieser Kontrast weckt schon beim Blick durch die ausladende Fensterfront mein Interesse. Mit ein wenig Fantasie können die Blumenranken auf der Tapete auch als Weizen durchgehen. Lars konnte es nicht über das Herz bringen, die Überbleibsel seiner Vormieterin zu entfernen. „Vielleicht ziehe ich so auch ein paar mehr weibliche Kunden in den Laden“, scherzt er. Bei mir scheint es funktioniert zu haben. Der Kontrast von Tapete und Bier macht neugierig.
In den Regalen reiht sich ein szeniges Verpackungsdesign an das nächste. Schmale Flaschen, breite Flaschen, kleine, große, mit zierlichen Hälsen oder kräftigen. Dazu bunte Etiketten und Bierbezeichnungen wie aus einem Kreativlabor. Besonders ansprechend finde ich die Hamburger Biere Buddelship und elbPaul. Eine Wahl aus dem Bauch heraus. Einfach, weil mir die optische Performance so gut gefällt. Ankermotive, Möwen und Wellen – die maritimen Verzierungen lassen mein norddeutsches Herz ein Stück höher hüpfen.
Lars erzählt, wie vielseitig und unterschiedlich jedes Bier schmeckt. Auf seinem Weizenblog veröffentlicht er umfangreiche Artikel zu dem Thema – ein richtiger Kenner also. Nicht zuletzt auch durch die App Untappd, mit der jeder Interessierte sein Wissen über Biere erweitern kann.
Ich erfahre, wie viele verschiedene Aromastoffe und ätherische Öle beim Brauvorgang freigesetzt werden, und lerne, warum man schon mal tropische Früchte oder eine schokoladige Note herausschmecken kann. Diese unterschiedlichen Geschmackserlebnisse hängen vom Grad ab, wie stark das gemälzte Getreide getrocknet oder geröstet wurde.
Das deutsche Reinheitsgebot verbietet, dem Bier Aromastoffe oder ätherische Öle zuzufügen. Doch davon lassen sich viele Brauer nicht beirren: Sie bringen Biersorten auf den Markt, die mit Orangen-Gewürzen versehen sind, nach Kaffee und Haselnuss schmecken oder den Geschmack von Bier und Schinken kombinieren. Das vielleicht perfekte Bier für den Mann?! Vor allem in Belgien, Dänemark und den USA gibt es mittlerweile zahlreiche kreative Brauereien, die sich mit außergewöhnlichen Rezepturen einen Namen machen konnten. „In der Szene sind vor allem Biere aus den USA beliebt. Dort können sie wirklich gut und innovativ brauen – das würden die meisten wohl nicht unbedingt erwarten“, erzählt Lars.
Auch wenn die eine oder andere Sorte anfangs zu stark schmeckt, lohnt es sich, dem Bier eine zweite Chance zu geben. Denn Geschmack kann man schulen. Für Lars ist Bier aufgrund seiner unterschiedlichen Geschmacksnuancen sogar vielfältiger als Wein. Die Chance zum Probieren der teils außergewöhnlichen, teils klassischen Biersorten bekommt man bei einem der Tastings in seinem Craft-Beer-Store. Vielleicht entdecke auch ich auf diesem Weg eine neue Lieblingssorte. Das Hops & Needles von Brewcifer, versetzt mit Fichtenspitzen, schmeckte mir auf jeden Fall schon ziemlich gut!
Besuche Brewcomer:
Stiftstraße 1
24103 Kiel
Telefon: 0431 97997200
Anstehende Tastings:
Fr. 23.01.
Sa. 07.02.
Do. 26.02.
7 Kommentare
Petra
16. Januar 2015
Toller Artikel, danke dafür.
Das Tasting wäre doch ein perfektes Geschenk für Männer.
Die schleppt man dann dort hin und nimmt Ihnen die Vorurteile.
In unserer Region werde schon von Dorf zu Dorf unterschiedlich Biersorten als nicht trinkwürdig deklariert.
Und wir habe hier in der Gegend eine tolle Brauerei.
Liebe Grüße
von Petra aus der Gegend von Braunschweig…
… der Heimat von Wolters und Feldschlösschen und natürlich nicht uu vergessen vom legendären Jägermeister …
…das ist keine Werbung. :O)
Dieter Bünning
17. Januar 2015
Ich finde den Laden gut. Aber ich habe eine Frage: Es gibt das deutsche Reinheitsgebot. Wie ist es möglich, daß ein Gebräu aus Island, das Walhoden enthält, als *Bier* bezeichnet werden darf? Und warum macht unser deutsche Presse das mit?
Merle Primke
21. Januar 2015
Lieber Herr Bünning, ich berichtete nicht über ein „Gebräu“ mit Walhoden. Ihre Frage kann ich ihnen daher nicht beantworten. Es bleibt mir nur zu sagen: Geschmäcker sind unterschiedlich. Beste Grüße!
Nils Wrage
11. Februar 2015
Lieber Herr Bünning,
Sie haben vollkommen Recht: in Deutschland gilt das Reinheitsgebot. Dies besitzt jedoch ausschließlich Geltung für Biere, die in Deutschland gebraut werden. Für ausländische Sude hat es – naturgemäß – keine Bedeutung. Diese dürfen als „Bier“ in den hiesigen Handel gebracht werden – selbstverständlich unter Angabe aller Zutaten.
Im Übrigen erfährt das Reinheitsgebot in letzter Zeit berechtigterweise vermehrt Kritik: von immer mehr Fachleuten wird es als einengend betrachtet. Ausländische Spitzenbrauer geben diesen Kritikern recht, denn auch aus anderen Getreiden lassen sich hervorragende Biere brauen. Und auch in Deutschland waren in früheren Zeiten durchaus Aromate wie Kräuter und Saaten im Bier gängig.
Wussten Sie übrigens, dass das viel gelobte Reinheitsgebot zwar Dinkel, Roggen oder Koriander im Bier verbietet, dafür aber industriell erzeugten Hopfenextrakt und chemische Filtrationsstoffe wie PVPP erlaubt? Sie würden sich wundern, was bei den deutschen Großbrauern wie Radeberger, Bitburger, Warsteiner oder Beck & Co so alles in den Sudkessel wandert. Insofern ist nicht alles Gold, was im teutonischen Bierwald glänzt.
Brauer aus den USA, Belgien, Italien oder Dänemark machen uns in letzter Zeit eindrucksvoll vor, dass das Reinheitsgebot vielleicht einer Überholung bedarf. Und auch mehr und mehr deutsche Kreativbrauer (wie etwa KuehnKunzRosen, Ratsherrn oder Brewcifer) widersetzen sich dem Dogma, indem sie weitere Zutaten verarbeiten – auch, wenn sie ihr Erzeugnis dann „Brauspezialität“ nennen müssen.
Das Reinheitsgebot geht sogar so weit, dass deutsche Hersteller von „Ginger Beer“, also einer scharfen, aber alkoholfreien Ingwerlimonade, ihr Produkt nicht als solches etikettieren dürfen. Die Produkte ausländischer Hersteller hingegen dürfen so heißen. Schade eigentlich. Und skurril.
Ich hoffe, ein wenig zur Klärung beigetragen zu haben?
Beste Grüße,
Wrage
Lars Müller
27. Januar 2015
Hallo Dieter, vom isländischen Walhoden-Bier habe ich auch schon gelesen. Dem sollte man gerade vor dem Hintergrund bedrohter Finnwale sicherlich ausgesprochen kritisch gegenüberstehen. Mal abgesehen davon, kann ich mir nicht vorstellen, dass Walhoden so besonders lecker sind – ohne sie jemals probiert zu haben.
Aber meiner Ansicht nach sollte man sich ebenfalls kritisch mit dem sogenannten „Reinheitsgebot“ und entsprechenden Verordnungen berschäftigen. Nach dem Vorläufigen Biergesetz von 1993 sind beispielsweise auch Hopfenextrakte und Klärmittel zulässig.
Gemäß eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes von 1987 darf ausländisches Bier übrigens als solches bezeichnet werden, auch wenn es nicht nach hier geltenden Regelungen gebraut worden ist. Argumentationsgrundlage waren hier wohl die Warenverkehrsfreiheit und bereits bestehende Kennzeichnungspflichten hinsichtlich verwendeter Zutaten.
Wir Deutschen sollten uns nicht zu sehr darauf versteifen, dass alleine ein Reinheitsgebot dafür sorgen kann, dass besseres Bier entsteht. In anderen Ländern kreieren Brauer teilweise ganz fantastische Sachen mit hohen Qualitäts- bzw. Reinheitsansprüchen, aber unter Verwendung weiterer Zutaten. Und das sorgt für eine spannende geschmackliche Vielfalt, von der man sich am besten eimal selbst überzeugen sollte. Vorausgesetzt man mag Bier oder das, was im weitesten Sinne so genannt wird 🙂
Thilo Pfennig
1. März 2015
Es gibt kein deutsches Reinheitsgebot mehr, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Reinheitsgebot#Heutige_Rechtslage , Zitat:
Das Gesetz wurde 2005 durch Art. 7 Nr.? 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts aufgehoben. Die Vorschriften über die Bereitung von Bier sind gemäß §? 1 Absatz? 1 Nr. ?2 des Gesetzes über den Übergang auf das neue Lebensmittel- und Futtermittelrecht weiterhin anzuwenden. Gültig ist ferner die Durchführungsverordnung zum Vorläufigen Biergesetz, welche Definitionen der Bierzutaten enthält.
Das deutsche Reinheitsgebot ist daher nur von historischer Bedeutung und prägt halt bei uns noch immer den Mainstream der Biere. Aber ein „Gebot“ gibt es seit 2005 nicht mehr. Ist offenbar immer noch bei vielen nicht angekommen.
NILS WRAGE
25. Juni 2015
Lieber Herr Pfennig,
was Sie dort schreiben, ist leider falsch: das Reinheitsgebot ist in Deutschland zwar kein Gesetz im eigentlichen juristischen Sinne – denn es darf Ausnahmeregelungen für den Export oder bei besonderen Gegebenheiten geben. So erhielt z.B. Köstritzer im vergangenen Jahr eine Sondergenehmigung, ein traditionell mit Orangenschale und Koriander gebrautes belgisches Witbier auch in Deutschland als ‚Bier‘ vertreiben zu dürfen. Ohne Beantragung jener Erlaubnis wäre dieses Vorgehen jedoch aus lebensmittelrechtlicher Perspektive unzulässig.
Diese beiden Fälle – Sonderregelungen und Export – führt der von Ihnen erwähnte Wikipedia-Artikel an. Für deutsche Biere, die in Deutschland verkauft werden, gelten aber nach wie vor die strengen Vorschriften des Reinheitsgebote – dies gilt im besonderen für die leichten, extrem populären Untergängen Stile wie Pils oder Lager. Aber Ihre Behauptung, das Reinheitsgebot sei nicht mehr bindend, ist nicht korrekt. Das wird Ihnen auf Anfrage jeder Brauer gern bestätigen. Ob man dem Gebot gegenüber wohlgesonnen ist, steht indes auf einem anderen Blatt.
Herzliche Grüße // Nils Wrage